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Portrait Artemisia Astolfi

Wer nicht krampfhaft suchet, der findet

Nach der Matur wusste Artemisia Astolfi (M18) nicht, wie ihre nächsten Schritte aussehen sollten. Dieser
Kontrollverlust, der im ersten Moment verunsichert, hat auch seine guten Seiten, findet sie jetzt.

Text: Céline Schwarz (M20, celine.schwarz@ken-ve.ch)

Im Alter von sechs Jahren werden die meisten Kinder eingeschult. Danach geht’s weiter, von Stufe zu Stufe, von Schulhaus zu Schulhaus. So durchläuft man, in flottem Tempo, Entwicklungsstadien, ohne sich dem Prozess wirklich bewusst zu werden. Irgendwann endet diese Zeit, der man lange einfach ausgesetzt war und man darf oder muss selbst Entscheidungen treffen. Denn was schön anmutet, ist erst einmal überwältigend.

Gymi fertig – was nun?

So ging es Artemisia Astolfi (M18). Die Alltagsroutine während vier Jahren Gymnasium, die ihr den Raum gab, den unvorhersehbaren Rest des Lebens vorerst beiseite zu schieben, war mit einem Mal vorbei. 

Ihre nächsten Jahre waren nicht mehr durchgeplant. Einzig war ihr klar, dass sie erst einmal eine Auszeit vom Lernen brauchte. Nach dem vielen Büffeln wollte sie ihr erlerntes Wissen nutzen und die Arbeitswelt kennenlernen. Gleichzeitig wollte sie aber die neu gewonnene Freiheit auch geniessen und nicht gleich wieder dem Rad des Alltags verfallen. 

Diese Bedürfnisse ohne konkreten Plan brachten Angst und Unsicherheiten mit sich. Was sollte sie studieren? Wie sollte ihr Leben weitergehen? Wie würde sie ihre nächsten Jahre gestalten? Zu sehen wie viele ihrer Freund*innen bereits Antworten auf diese Fragen gefunden hatten, verunsicherte sie zusätzlich. Auch die vielen Schnuppertage an den Universitäten erhöhten Druck, diese eine inhärent richtige Entscheidung, die den Verlauf ihres restlichen Lebens prägen würde, möglichst schnell treffen zu müssen. Jus, Medizin und Psychologie faszinierten sie zwar, aber sie wollte ja eigentlich vom theorielastigen Lernen und Auswendiglernen erstmal weg. 

Drauflos leben

Viele Überlegungen und Schnuppertage später entschied sich Artemisia, sich nicht weiter den Kopf zu zerbrechen, sondern: zu leben. Sie versuchte darauf zu vertrauen, dass ihr mehr Zeit, mehr Klarheit bringen würde. Sie beschloss, den nächsten Schritt zu wagen und fürs Erste einen Job zu finden, der sie: interessierte. Sie begann ein Praktikum bei der Urban Connect AG, einem Start-Up, das E-Bike-Flotten an Unternehmen vermittelt und sich damit für eine grüne Mobilität einsetzt. Indem sie aus der Überlegungsstarre ausbrach, kam ein Prozess ins Rollen.

Die Stimmung beim Startup inspirierte sie und zeigte ihr, dass kreative Ideen heute gefragt sind, weil sich die starren Berufsbilder gewisser Branchen (die sich ja auch nicht zwingend strikte voneinander trennen lassen) langsam, aber sicher auflösen. Der Druck, einen «Beruf» zu finden, liess nach. Stattdessen konzentrierte sie sich darauf herauszufinden, was ihr Spass macht. Beim Einfärben von E-Bikes mit Photoshop etwa, beim Drehen und Konzipieren von Werbevideos oder dem Kreieren von Social Media Inhalten wurde ihr nie langweilig. Für diese «Tätigkeiten» gab es erst einmal keine Berufsbezeichnung – und das war auch gut so.

Arbeiten beim Stadtmagazin

Im Herbst 2019 startete sie ihr Praktikum beim jungen Stadtmagazin Tsüri.ch. Das 2015 gegründete online Magazin hat das Ziel, Zürcher*innen und Nicht-Zürcher*innen mit Inputs zu versorgen, damit sich diese eine eigene politische Meinung bilden können. Die Redaktion setzt auf Transparenz und Authentizität. Zum Beispiel stellen sich die Mitarbeitenden immer wieder auch selbst vor die Kamera und erklären, wie und mit welchem Ziel sie bei Tsüri.ch arbeiten. Artemisia grinst in die Kamera. Auf die Frage, ob das Praktikum wie erwartet verläuft oder doch nur ein Chaoshaufen ist, sagt sie: «Ich habe es mega cool erwartet, bin aber nochmal positiv überrascht worden.»

Warum wohl? Auch hier bestand der Grossteil ihres Aufgabenbereichs im Konzipieren und Gestalten von grafischen Inhalten. Jackpot! Während ihrer acht Monate bei Tsüri.ch erstellte sie Illustrationen zu Texten, drehte und konzipierte Videos und Interviews, gestaltete Werbebanner, fotografierte neue Shop Artikel und designte Werbung für das Tsüri-Kino. In dieser Zeit konnte sie sich viel Wissen im grafischen Bereich aneignen, insbesondere mit verschiedenen Computer-Programmen. Und fast noch wichtiger: Sie knüpfte viele neue Kontakte. 

Die Arbeit in einem kleinen motivierten Team, das ihr viel Vertrauen
entgegenbrachte, war extrem inspirierend und bestätigte sie in ihrem Gefühl, dass sie im Bereich der Grafik bleiben will.

Mit Grafik bewegen

Mit Grafik verbinden Menschen wohl sehr unterschiedliche Dinge. Das ist auch dem technischen Fortschritt geschuldet. Natürlich: Im Kern bedeutet Grafik Gestaltung. Letzterer kommt im heutigen Informationsüberfluss aber eine neue Bedeutung zu. Nachrichten müssen herausstechen, intuitiv und schnell verständlich sein. Gute Ideen und Projekte brauchen immer ein passendes und mitreissendes Erscheinungsbild. Nur dann können Menschen erreicht, berührt und bewegt werden. 

Das ist auch, was Artemisia antreibt. Sie möchte Herzensprojekten, die etwas verändern wollen, einen wirkungsvollen Auftritt geben und denkt dabei an kleinere Einzelunternehmen, Projekte im Kultur- und Kunstbereich oder im Umweltschutz. Am wichtigsten ist ihr, dass bei den Menschen etwas ausgelöst wird, sie berührt, ermutigt und zu Ideen angeregt werden.

 

Eine neue Alltagsroutine

Im September 2021 wird Artemisia in ihrem Leben ein neues Kapitel aufschlagen. Die Spontaneität und Ungewissheit der letzten drei Jahre werden durch die Routine des Studiums in «Visual Communication» an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) abgelöst. Und das ist gut so. Denn auch diese wird zwar wieder enden und vielleicht einen neuen Kontrollverlust auslösen – nun weiss sie aber, dass sie ihn bewältigen kann.  

Artemisia Astolfi: Auch wenn die Studienwahl bei mir ein längerer Prozess war, bin ich sicher am richtigen Platz gelandet zu sein. Seid mutig Wege zu gehen, die nur wenige gehen, die ihr euch vielleicht nicht zutraut und die sich «unsicherer» anfühlen. Nehmt euch Zeit herauszufinden, was ihr wollt. Sucht nicht krampfhaft nach Antworten, sondern achtet euch auf die kleinen Dinge im Alltag die euch Freude bereiten und motivieren. Eventuell steckt darin bereits eure lang ersehnte Antwort? 

Verein Ehemaliger der Kantonsschule Enge | Steinentisschstrasse 10 | 8002 Zürich